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Besuchsrecht: Welche Rechte haben Kinder und wie können diese durchgesetzt werden?

Dr. Severin Bischof im Interview

Wie viel Mitspracherecht haben Kinder bei der Regelung des Besuchsrechts? Wie können die Rechte von Kindern bei Anliegen rund um das Umgangsrecht durchgesetzt werden? Wann wird eine sogenannte Kindesvertretung bei Gericht eingesetzt? Dr. iur. Severin Bischof, Familienrechtsanwalt und Experte für Sorgerecht und Obhut, erläutert Wissenswertes rund um Kinderrechte im Interview.

Seit 2018 praktiziert Dr. iur. Severin Bischof als selbstständiger Rechtsanwalt in St. Gallen mit Schwerpunkt auf Familienrecht. Er ist Experte in allen Belangen rund um Sorgerecht und Obhut. An der Universität St. Gallen doktorierte der Rechtsanwalt im Bereich Kinderrechte und häusliche Gewalt. Dr. iur. Severin Bischof selbst ist mit einer neuromuskulären Erkrankung aufgewachsen und im Alltag mit Elektrorollstuhl und Assistenzhund unterwegs. Herausragende Fähigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich, um mit hochemotionalen Situationen kompetent umgehen zu können, bringt er mit.

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Dr. Severin Bischof

Rechtsanwalt für Familienrecht

Ganz grundsätzlich: Was wird unter Besuchsrecht verstanden?

Das Besuchsrecht ist ein Kontaktrecht. Es ist ein Recht auf Beziehung zwischen dem Kind und dem nicht-obhutsberechtigten Elternteil. Für den betroffenen Elternteil ist es aber mehr als nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht, diesen Kontakt wirklich auszuüben. Der Hintergrund des Besuchsrechtes ist, dass sich das Kind möglichst gesund und normal entwickeln können soll, wofür Kontakt zum nicht-obhutsberechtigten Elternteil notwendig ist. Dieses grundsätzliche Umgangsrecht ist im Schweizer Recht festgesetzt.

Wie wird das Umgangsrecht üblicherweise geregelt? Welche Faktoren spielen eine Rolle?

Das oberste Kriterium ist immer das Kindeswohl. Es soll jene Regelung gelten, bei der die Bedürfnisse des Kindes am besten berücksichtigt werden. Hier wird betrachtet, wie die Rollenverteilung während des gesamten Zusammenlebens war, was das Kind selbst benötigt, wie die räumlichen Verhältnisse sind, wie viel Zeit beide Elternteile jeweils für die Kindererziehung aufbringen können, wie die Betreuung gewährleistet werden kann und wie es um die Berufstätigkeit der Elternteile steht. Natürlich spielt auch je nach Alter die Meinung des Kindes eine Rolle.

Ziel ist es, die Situation so zu gestalten, dass das Kind möglichst guten Kontakt zu beiden Elternteilen bewahren kann. Es gibt hier keine Standardlösung. Vielmehr wird bei jedem Einzelfall versucht, die beste Lösung für das Kind oder die Kinder zu finden.

Wie viel Mitspracherecht haben Kinder bei der Regelung des Umgangsrecht? Wer entscheidet über das Besuchsrecht?

Generell gilt: Je älter das Kind, desto mehr Mitspracherecht. Ab einem Alter von vier bis fünf Jahren wird bereits begonnen, das Kind bei Gericht anzuhören und nach deren Meinung zu befragen. Wenn die Urteilsfähigkeit in Bezug auf das Besuchsrecht schon sehr fortgeschritten ist, wird das Mitspracherecht dementsprechend stärker gewichtet. Das ist allerdings bei jedem Kind unterschiedlich, weil diese sich nicht gleich schnell entwickeln. Ab einem Alter von 13 bis 15 Jahren wird die Regelung des Kontaktes üblicherweise direkt dem Kind und dem betroffenen Elternteil überlassen.

Das Besuchsrecht kann individuell vereinbart und gerichtlich genehmigt, aber auch – im Konfliktfall – gerichtlich festgesetzt werden. Jedenfalls wird im Urteil bzw. auch in einer eigenständigen Vereinbarung ab einem gewissen Alter zumeist festgehalten, dass der Kontakt selbständig geknüpft wird. Das hängt aber eben davon, wie reif und weit entwickelt jenes Kind ist.

Generell gilt: Je älter das Kind, desto mehr Mitspracherecht bei der Regelung des Besuchsrecht.

Wie kann ich mir dieses Mitspracherecht konkret vorstellen, wird das Kind dann wirklich vor Gericht angehört?

Ja, es gibt Kindesanhörungen bei Gericht. Diese sind auch gesetzlich vorgeschrieben. Der Richter macht hierfür einen separaten Termin mit dem Kind bzw. mit den Eltern für das Kind aus. Bei Gericht spricht dann der Richter allein mit dem Kind und fragt nach, wie dieses die Situation erlebt. Allerdings wird nicht direkt gefragt, zu welchem Elternteil das Kind lieber möchte. In der Regel hat jenes nämlich beide Eltern gerne und würde so schnell in einen Loyalitätskonflikt kommen.

Vielmehr geht es hier darum, dass der Richter sich einen eigenen Eindruck über die Lebenssituation des Kindes verschaffen und mithilfe der Anhörung des Kindes eine Meinung darüber bilden kann, wie das Zusammenleben in Zukunft gestaltet werden soll.

Ein Kind ist mit der aktuellen Besuchsregelung nicht zufrieden und möchte mit einem der Elternteile mehr Kontakt haben, als vorgesehen – was tun?

Grundsätzlich sind Besuchsregelungen, die vor Gericht getroffen werden, in der Schweiz immer nur Mindestregelungen. Mehr Kontakt ist immer möglich, das ist nicht verboten. Dafür braucht es nicht einmal eine Änderung der Besuchsregelungen. Eine Absprache zwischen dem Kind und dem betroffenen Elternteil oder den beiden Elternteilen ist ausreichend. Wenn beide Elternteile übereinstimmen, dass das Kind den Vater oder die Mutter mehr sehen darf, muss gar keine Behörde involviert werden. Das kann man ganz einfach so machen.

Sollte das Kind das Gefühl haben, es sieht einen Elternteil zu wenig und das Verfahren läuft aktuell noch, kann das Kind den Richter selbst anrufen oder ein Schreiben dahin machen. Das machen zwar die wenigsten Kinder, diese Möglichkeit besteht jedoch grundsätzlich. Und – wie bereits angesprochen – kann es seine Meinung natürlich bei der Kindesanhörung dem Richter mitteilen.

Besuchsregelungen sind Mindestregelungen. Das heisst, wenn beide Seiten einverstanden sind, ist mehr Kontakt immer möglich.

Was passiert, wenn ein Kind einen Elternteil weniger sehen möchte oder sich sogar weigert, das Besuchsrecht wahrzunehmen?

Das wird dann ein wenig komplizierter. Manchmal passiert es, dass der Kontakt im Sand verläuft und entweder das Kind, der betroffene, nicht-obhutsberechtigte Elternteil oder aber beide kein Interesse mehr zeigen. Manchmal wird dieser Kontakt einfach zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen. Hier wird sich in der Regel keine Behörde von sich aus einschalten und Schritte unternehmen. Aber angenommen, der nicht-obhutsberechtigte Elternteil möchte Kontakt haben und das Kind weigert sich: Dann empfiehlt es sich, in einem ersten Schritt nach den Gründen für dieses Verhalten zu suchen. Es kann sein, dass es Streit zwischen den Eltern gibt und sich das Kind in einem Loyalitätskonflikt befindet. Oder das Kind wird von einem Elternteil manipuliert. In solchen Fällen ist es beispielsweise möglich, eine Gefährdungsmeldung bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) zu machen. Das kann jedermann, z.B. entweder ein Elternteil, das Kind selbst, eine Fachperson wie z.B. die Lehrperson oder auch ein Verwandter oder eine Nachbarin machen. Ist das Verfahren – z.B. die Ehescheidung oder das Eheschutzverfahren – noch beim Gericht anhängig, ist dieses auch zuständig.

Die Behörden werden nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip Kindesschutzmassnahmen prüfen. In einem ersten Schritt findet eine Abklärung statt und es wird mit den Eltern, dem Kind und allenfalls weiteren involvierten Personen gesprochen. Unter Umständen wird ein Gutachten durch einen abklärenden Dienst erstellt, um den Ursachen der Weigerung auf den Grund zu gehen. Die Behörden geben als mildeste Kindesschutzmassnahme Ratschläge oder erteilen – als nächst stärkere Massnahme – mitunter auch eine Weisung. Eine weitere Möglichkeit ist die Errichtung eines Besuchsbeistandes. Das ist eine neutrale Person, die zwischen den Eltern vermittelt und hilft, das Besuchsrecht umzusetzen. 

Zuletzt ist auch direkter Zwang gegen einen sich weigernden Elternteil möglich (nicht gegen das Kind), z.B. wird die Übergabe des Kindes dann polizeilich begleitet und der Polizeibeamte versucht zu vermitteln und deeskalierend zu wirken. Direkter Zwang gegen das sich weigernde Kind verstösst in den meisten Fällen jedoch gegen das Kindeswohl und wird deshalb auch in der Praxis wirklich kaum jemals so gehandhabt. Jener Elternteil, der das Kind nicht herausgibt oder den Kontakt verhindert, kann mitunter gebüsst werden. Im schlimmsten Fall kann auch die Obhut entzogen und auf den anderen Elternteil übertragen werden. Falls die Behörde zu dem Schluss kommt, dass in einer Familie etwas drastisch falsch läuft, kann es auch zu einer Fremdplatzierung kommen. Dann wird das Kind ganz aus der Familie genommen.

Es handelt sich also um eine Kaskade aus zuerst milden und letztlich sehr einschneidenden Massnahmen, die zur Verfügung stehen. Die Behörden müssen nach eigenem Ermessen prüfen, was im jeweiligen Fall sinnvoll ist.

Wie können die Rechte eines Kindes in Bezug auf Umgangsrecht durchgesetzt werden? An wen können sich diese wenden?

Wenn die Trennung oder Scheidung aktuell abläuft, dann ist das zuständige Gericht für das Besuchsrecht verantwortlich. Der Richter ist auch die erste Ansprechperson, falls das Kind eine Frage hat oder etwas einbringen möchte. Bei unverheirateten Eltern, die auseinandergehen, ist die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) zuständig und nimmt diese Funktion wahr.

Oft sind Kinder in solchen Verfahren überfordert und wissen gar nicht, an wen sie sich wenden bzw. was sie tun können. Darum gibt es viele Fachstellen, die hier unterstützend mitwirken können, etwa in Form einer Beratung. In der Ostschweiz gibt es zum Beispiel das Kinderschutzzentrum, das dem Kinderspital St. Gallen angegliedert ist oder die neu geschaffene Ombudsstelle für Kinderrechte Ostschweiz. Es bestehen noch weitere Beratungsstellen, die auch für Kinder niederschwellig zugänglich sind. Bei Fragen dahingehend, welche Rechte Kinder in der Scheidung haben, was diese tun können oder welche Ansprüche sie haben, lassen sich hier die passenden Informationen finden. Hinweisen möchte ich ausserdem auf den Ratgeber für Kinder und Jugendliche „Juris erklärt dir deine Rechte“ der Christoph Merian Stiftung.

In strittigen Fällen kann auch ein Kinderanwalt vom Gericht eingesetzt werden: Wann passiert das und wie kann jener das betroffene Kind unterstützen?

„Kinderanwalt“ ist ein Instrument, das im Gesetzestext so nicht genannt wird. Hier wird das „Verfahrensbeistand“ oder „Kindesvertretung“ genannt. Das ist eine unabhängige Person, die als Anwalt für das Kind eingesetzt wird und nur den Interessen des Kindes verpflichtet ist. Das geschieht, wenn die Eltern aufgrund einer Interessenskollision die Interessen des Kindes augenscheinlich nicht wahren können. Es handelt sich hierbei etwa um Missbrauchsfälle, in denen ein Elternteil das Kind missbraucht hat, oder um eine Scheidung, bei der sich die Eltern in Kinderbelangen nicht einig sind und sich das Kind in einem Loyalitätskonflikt befindet. Dann kann eine solche Vertretungsbeistandschaft angeordnet werden.

Es ist auch möglich, dass die Eltern selbst für ihr Kind einen Anwalt mandatieren. Das kann bei Jugendstrafverfahren vorkommen, weil das Kind straffällig geworden ist, oder bei einem Verfahren gegen die Schule, mit der ein Kind Probleme hat. In gewissen Fällen – etwa bei der Wahrung dessen höchstpersönlicher Rechte, wie der körperlichen Integrität, familiären Beziehung oder Entscheide über medizinische Massnahmen – kann sogar das Kind selbst trotz Minderjährigkeit einen Anwalt mandatieren.

Wer hat die Kosten für eine solche Kindervertretung zu tragen?

In erster Linie haben das die Eltern zu bezahlen, weil diese unterhaltsverpflichtet sind und deshalb auch für die Kosten eines Anwaltes für das Kind aufkommen müssen. Es kann daher vorkommen, dass das Gericht eine Vertretungsbeistandschaft einsetzt und die Eltern dazu verpflichtet, diese Kosten zu übernehmen.

Falls es aber so ist, dass die Eltern nicht die finanziellen Mittel haben, eine solche Vertretung zu bezahlen, wird der Verfahrensbeistand einen Antrag auf unentgeltliche Rechtspflege stellen. In diesem Fall übernimmt der Staat die Kosten. Allerdings müssen die Eltern diese Kosten zurückzahlen, sollten sie zu einem späteren Zeitpunkt an Geld kommen.

Haben Sie abschliessend Tipps für unsere User, die sich in einer konkreten familienrechtlichen Angelegenheit unsicher sind?

Ganz wichtig ist es, sich frühzeitig über seine Rechte zu informieren und nicht erst, wenn der Konflikt bereits ausgebrochen ist. Die Handlungsmöglichkeiten sind dann noch grösser bzw. es sind bessere Lösungen möglich, bevor die Fronten verhärtet sind. Es gibt auch niederschwellige Möglichkeiten, frühzeitig Informationen einzuholen. Das können Beratungsseiten im Internet oder Beratungsstellen, aber auch spezialisierte Anwälte sein.

Falls sich bereits ein Rechtsstreit oder Konflikt abzeichnet, lohnt es sich möglichst bald eine anwaltliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Das sollte idealerweise nicht erst passieren, wenn eine gerichtliche Vorladung ins Haus flattert, sondern sobald man merkt, dass es zuhause nicht gut läuft und der Ehegatte vielleicht bald auszieht. Das ist bereits der Zeitpunkt, sich Informationen zu holen.

Mein Tipp: Sich zu informieren ist Gold wert, gerade auch in familienrechtlichen Angelegenheiten. Nicht warten, bis man vom Zug überfahren wird, sondern frühzeitig das Ruder selbst in die Hand nehmen.

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Dr. Severin Bischof

Rechtsanwalt für Familienrecht
in St. Gallen

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