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Gemeinsame elterliche Sorge – Worauf ist nach der Scheidung zu achten?

Dr. Angela Cavallo im Interview

Was ist das Beste für das Kind? Diese Frage stellt sich für die Eltern nicht nur in einer Ehe. Haben sie die gemeinsame elterliche Sorge, müssen beide Elternteile auch nach einer Scheidung noch kooperieren und zusammen Entscheidungen treffen. Familienrechtsinfo.ch hat mit Familienrechtsexpertin Dr. Angela Cavallo darüber gesprochen, wie eine gemeinsame elterliche Sorge nach einer Scheidung aussehen kann, wie sich Eltern verhalten sollten und wie die Obhut geregelt wird.

Cavallo ist seit 2012 selbstständige Rechtsanwältin in Zürich. Ihre Schwerpunkte liegen im Familien- und Strafrecht, die sie vor allem bei Fällen mit häuslicher Gewalt auch verbindet. Im Familienrechtsverfahren legt die Mutter von drei erwachsenen Töchtern immer ein Augenmerk auf involvierte Kinder. Auch im Interview pocht sie darauf, dass das Kindeswohl stets im Fokus stehen sollte.

Dr. Angela Cavallo
Dr. Angela Cavallo

Rechtsanwältin für Familienrecht

Wann spricht man im Familienrecht von gemeinsamer elterlicher Sorge und wie kann sie im Alltag aussehen?

Bei der gemeinsamen elterlichen Sorge sorgen die Eltern, wie das Wort schon sagt, gemeinsam für das Wohl ihres Kindes. Sie vertreten das Kind gesetzlich, verwalten das Kindesvermögen und bestimmen den Aufenthaltsort des Kindes. Sie entscheiden für das Kind, wo das Kind noch nicht selbst entscheiden kann. Diese Entscheidungen müssen sie gemeinsam fällen.

Im Alltag hat die gemeinsame elterliche Sorge weniger Auswirkungen, als man gemeinhin annimmt. Dringliche und alltägliche Angelegenheiten können nämlich auch vom Inhaber der Obhut allein entschieden werden – etwa, wo man die nächsten Ferien verbringt oder welchem Fussballverein das Kind beitreten soll. Gemeinsam müssen die Eltern zum Beispiel entscheiden, ob das Kind in eine Privatschule oder eine öffentliche Schule geht oder ob Operationen oder kieferorthopädische Behandlungen durchgeführt werden.

Wer kann die elterliche Sorge gemeinsam ausüben?

Verheiratete Eltern haben automatisch die gemeinsame elterliche Sorge. Unverheiratete Paare brauchen noch eine Erklärung, die man entweder zusammen mit der Kindesanerkennung auf dem Zivilstandsamt oder separat bei der Kindesschutzbehörde (KESB) vorlegen kann. Auch geschiedene Eltern können gemeinsam die elterliche Sorge ausüben, unabhängig von der Obhut.

Wie wird die elterliche Sorge nach der Scheidung in den meisten Fällen geregelt?

Nach einer Gesetzesänderung ist heute die gemeinsame elterliche Sorge Standard. Das Gericht ordnet die alleinige elterliche Sorge nur noch dann an, wenn die gemeinsame elterliche Sorge mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbaren wäre. Es bräuchte hier schwerwiegende Gründe. Ein Beispiel wäre, wenn die Möglichkeit, überhaupt mit dem anderen Elternteil Kontakt aufzunehmen, komplett fehlt.

Möglich ist auch die Anordnung der gemeinsamen elterlichen Sorge gegen den Willen eines der Elternteile; denn nicht immer sind beide damit einverstanden. Das Einverständnis des andern Elternteils ist für die gemeinsame elterliche Sorge also nicht erforderlich. Es geht allein um das Kindeswohl. Urteile mit alleiniger elterlicher Sorge sind mittlerweile selten.

Die Ehe ist gescheitert, die elterlichen Pflichten gehen weiter – Wie sollten Eltern sich verhalten?

Es ist wichtig, dass die Eltern allfällige zwischen ihnen bestehende Konflikte beiseiteschieben können und den Fokus auf das Kind legen. Das ist häufig sehr schwierig, lohnt sich aber. Die Paarebene ist also von der Elternebene zu trennen.

Idealerweise legen die Eltern nach der Trennung einen Kommunikationskanal fest, beispielsweise einen Whatsapp-Chat, wo sie für den anderen Elternteil erreichbar sind. Wenn derjenige, der nicht die Obhut hat, nie erreichbar ist, ist es schwierig, gemeinsame Entscheide zu fällen.

Es geht bei der Ausübung der elterlichen Sorge nicht um alltägliche Entscheide, sondern um die Wahl der Schule, religiöse Erziehung oder medizinische Eingriffe etc.

Ist ein gemeinsames Sorgerecht im Falle einer strittigen Scheidung denkbar?

Das ist grundsätzlich denkbar, denn die gemeinsame elterliche Sorge kann auch gegen den Willen eines Elternteils gerichtlich angeordnet werden. Wie bereits erwähnt, geht es bei der Ausübung der elterlichen Sorge nicht um alltägliche Entscheide, sondern um wesentliche Beschlussfassungen etwa betreffend die Wahl der Schule, die religiöse Erziehung oder medizinische Eingriffe. Die Anzahl von möglichen Diskussionen hält sich deshalb in Grenzen.

Bei einer strittigen Scheidung muss man noch gewisse Punkte mit dem Partner aushandeln, auch sind die Emotionen meistens noch sehr stark. Diese Streitpunkte sind nach der Scheidung aber oft gar nicht mehr so relevant.

Der Fokus bei der Vergabe der elterlichen Sorge liegt auf den Auswirkungen auf das Kind. Das Wohl des Kindes ist massgebend.

Hat ein neuer Lebenspartner Einfluss auf das gemeinsame Sorgerecht oder die Zuteilung der Obhut?

Eigentlich nicht. Natürlich wird im Rahmen der Kindeswohlprüfung auch geprüft, ob irgendwelche schwerwiegenden Gründe dagegensprechen würden, dass das Kind mit einem der Elternteile im Haushalt mit dem neuen Partner oder der neuen Partnerin lebt. Es reicht aber sicher nicht, dass der andere Elternteil nicht damit einverstanden ist, dass das Kind beim neuen Lebenspartner wohnt. Ansonsten hat eine neue Partnerschaft keinen Einfluss.

Wie wird entschieden, welcher Elternteil die Obhut bekommt? Gibt es hier noch Unterschiede, die auf dem Geschlecht basieren?

Solche Unterschiede gibt es je länger je weniger. Heute wird vor allem aus praktischen Gründen häufig auf das bisher gelebte Familienmodell abgestellt. Dieses sieht nach wie vor eine gewisse Mehrbetreuung durch die Mutter vor. Die Väter bringen sich heute aber vermehrt in der Kinderbetreuung ein. Meine Erfahrung ist, dass Väter, die mehr Verantwortung übernehmen wollen und auch ein Betreuungskonzept vorweisen können, sehr gute Chancen auf Zuteilung zum Beispiel der alternierenden Obhut haben. Von alternierender Obhut spricht man dann, wenn das Kind alternierend bei beiden Elternteilen lebt und Vater und Mutter die Betreuung ungefähr zu gleich grossen Teilen übernehmen, zum Beispiel 50 zu 50 oder 60 zu 40 Prozent.

Dem erwerbstätigen Elternteil – das ist häufig noch vermehrt der Vater – kommt entgegen, dass die Fremd- und Eigenbetreuung heute als gleichwertig erachtet werden. Die Frage des Pensums der Erwerbstätigkeit tritt mit zunehmendem Alter des Kindes in den Hintergrund. Ganz am Anfang, wenn es sich noch um Säuglinge handelt, gibt es vielleicht noch den praktischen Unterschied, dass die Mutter mehr gebraucht wird, aber je älter die Kinder werden, desto weniger ist das der Fall.

Man muss sich aber bewusst sein, dass das Wechselmodell kostspielig ist, denn es kommt praktisch zu einer Verdoppelung der Fixkosten. Vater und Mutter müssen zwei separate angemessene Wohnungen haben, brauchen zweimal Mobiliar und zwei Schlafzimmer, es gibt doppelte Kosten für Transport, Kleidung, Spielsachen etc. Das ist häufig ein Grund, der gegen dieses Betreuungsmodell spricht. Gerade für schulpflichtige Kinder ist die alternierende Obhut oft ein Nachteil, wenn die Distanz zwischen den beiden Wohnsitzen gross ist. Die alternierende Obhut macht meistens nur Sinn, wenn beide Elternteile nahe beieinander wohnen und das Kind von beiden Wohnsitzen aus in die Schule gehen kann. Vorausgesetzt wird natürlich auch, dass beide Elternteile grundsätzlich erziehungsfähig sind.

Es kommt darauf an, wie die Betreuung vor der Scheidung aufgeteilt wurde. Wenn beide Elternteile einen massgeblichen Anteil an der Betreuung hatten, macht es auch Sinn, das gelebte Betreuungsmodell der alternierenden Obhut weiterzuführen.

Wann ist es sinnvoll, die elterliche Obhut im Wechselmodell zu vereinbaren?

Die Möglichkeit der alternierenden Obhut wird geprüft, sobald ein Elternteil oder auch das Kind selbst dies verlangt. Es kommt darauf an, wie bisher gelebt wurde. Kontinuität und Stabilität der Verhältnisse können für oder gegen das alternierende Betreuungsmodell sprechen. Es kommt darauf an, wie die Betreuung vor der Scheidung aufgeteilt wurde. Wenn beide Elternteile einen massgeblichen Anteil an der Betreuung hatten, macht es auch Sinn, dieses Modell weiterzuführen. Auch der Wunsch des Kindes sollte berücksichtigt werden, wenn es schon in einem Alter ist, in dem es mitentscheiden kann.

Erforderlich ist auch hier ein Mindestmass an Kooperation und Kommunikationsfähigkeit der Elternteile. Wenn das gut gelingt, können die Kinder von einer intensiven Beziehung zu beiden Elternteilen nur profitieren. Eine schwierige und konfliktreiche Interaktion der Elternteile würde demgegenüber eher dagegensprechen. Nur weil sich ein Elternteil der alternierenden Obhut widersetzt, heisst das aber nicht, dass die Kooperationsfähigkeit fehlt. Die oberste Maxime ist und bleibt das Kindeswohl.

Wie können Sie, als Familienrechtsanwältin, Müttern und Vätern bei Fragen um das Sorgerecht oder die Obhut helfen?

Vorab erkläre ich meinen Klienten und Klientinnen die Unterschiede zwischen Sorge und Obhut. Oft gibt es hier noch falsche Vorstellungen darüber, was das im Alltag bedeutet. Eine ablehnende Haltung kommt oft daher, dass man gar nicht weiss, was eine gemeinsame elterliche Sorge mit sich bringen würde.

Im Beratungsgespräch versuche ich herauszufinden, welches Familienmodell bisher gelebt wurde und wie die Kontakte zum anderen Elternteil zukünftig gestaltet werden sollen. Ich erkundige mich auch, ob der Wunsch des Kindes bekannt ist.

Es ist wichtig, vorhandene Konflikte in der Familie zu entschärfen und die Kommunikation zwischen den Elternteilen wiederherzustellen. Unmittelbar nach der Trennung gibt es häufig Konstellationen, die sehr konfliktbeladen und emotional sind, vor allem wenn häusliche Gewalt im Spiel war. Da gibt es am Anfang eine Blockade und man hätte am liebsten gar nichts mehr mit dem anderen Partner zu tun. Hier ist es wichtig, mitzuhelfen, die Situation zu entschärfen und sich nicht auf die Paarebene, sondern die Elternebene zu fokussieren. Nur wenn man das schafft, kann das Kind eine gefestigte Beziehung zu beiden Elternteilen pflegen.

Dr. Angela Cavallo
Dr. Angela Cavallo

Rechtsanwältin für Familienrecht
in Zürich

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Dr. Angela Cavallo informiert Sie ausführlich zu allen Themen rund um Sorgerecht und Obhut und beantwortet alle Ihre Fragen.
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